Wie romantisch! – Ein Plädoyer für mehr Gefühl im Geschäftsalltag

Wann hatten Sie das letzte Mal Herzklopfen? Dieses Kribbeln im Bauch? Oder ein ständiges Lächeln im Gesicht? Und ich meine nicht etwa im Privaten, sondern im Berufsleben… Noch nie?

Geschäft und Gefühl schließen sich aus? Romantik hat im Arbeitsalltag nichts verloren?

Mag sein, dass in der Geschäftswelt nur harte Fakten zählen, es auf nackte Zahlen ankommt, die nüchterne Leistung bewertet wird. Schließlich leben wir in einer Zeit, in der nicht nur alles berechenbar ist, sondern auch berechnet beziehungsweise in Zahlen ausgedrückt wird. Wir vermessen und vergleichen, um zu optimieren. Auch den Menschen, der heute zunehmend als Summe seiner Daten definiert wird. Für Romantik ist da kein Platz. Vielleicht.

Vielleicht aber auch nicht. Marketingexperte Tim Leberecht jedenfalls ist überzeugt, dass sich auch der moderne Mensch nach Momenten der Entgrenzung, Verzauberung und des Kontrollverlustes sehnt. Er plädiert dafür, die geistige und künstlerische Bewegung, die die aufgeklärte, rationale Welt des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts geprägt hat, wieder aufleben zu lassen. Schließlich sind die Welt und der Mensch mehr als nur Zahlen und Fakten. Die Romantik ermöglicht es, neue Welten zu betreten, mit anderen Identitäten zu spielen, das Vertraute wieder fremdartig zu machen. Oder wie Novalis sich damals ausdrückte:

Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung. Das niedere Selbst wird mit einem besseren Selbst in dieser Operation identifiziert. Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.

Dieses Konzept lässt sich gemäß Leberecht auch im Marketing umsetzen: Wie sonst lässt sich erklären, dass Menschen schon Tage, bevor ein neues Gerät auf den Markt kommt, vor dem Apple-Shop campieren, wenn nicht mit einer versteckten Sehnsucht? Für Romantik ist also sehr wohl Platz in der Geschäftswelt. Wenn man diese Erkenntnis für die Vermarktung von Produkten oder Dienstleistungen nutzbar macht, lassen sich mit Engagement und Leidenschaft sinnvolle Produkte und begehrenswerte Marken schaffen. Denn erwiesenermaßen erinnern sich Menschen weniger an das Was oder Wer einer bestimmten Sache als vielmehr an das Gefühl, das sie dabei verspürt haben. Leberecht bezeichnet deshalb Romantik als:

das ultimative Alleinstellungsmerkmal in einer Zeit der Optimierer und der Maximierer.

Gefühle stärken aber auch die Mitarbeiterbindung, unterstützen eine positive Unternehmenskultur und fördern so Innovation, Produktivität und Leistung. Jeder will sich mit seiner Arbeit identifizieren und Außergewöhnliches bewirken. Doch wie können wir im Job Erfüllung finden, Großes bewirken und uns wirklich lebendig fühlen?

In seinem Buch beschreibt Tim Leberecht die Prinzipien dieser „Business-Romantik“ ausführlich. Dies sind die drei wichtigsten:

1.Finde das Große im Kleinen: In Momenten der Intimität lässt sich die Sehnsucht nach einer tieferliegenden Wahrheit stillen.
2. Hüte das Geheimnis: Wissen ist zwar Macht, aber „not enough information“ ist mächtigere Kundenerfahrung. Rätselhaftigkeit und Geheimnis bieten bleibende Erfahrungen.
3. Leide ein bisschen: Das Ziel ist die permanente Unerfülltheit. So bleibt die Sehnsucht intakt.

Indem er Flüchtigkeit über Dauerhaftigkeit, Mehrdeutigkeit über Klarheit, Zufall über Berechenbarkeit, Emotion über Logik oder Subjektivität über Objektivität stellt, erweitert Leberecht das gängige Konzept der Geschäftswelt. Ob uns tatsächlich ein Paradigmenwechsel bevorsteht, wird sich zeigen. Doch positiv aus der Masse hervorzustechen, zahlt sich in jedem Fall aus. Deshalb: Erzeugen Sie große Gefühle, berühren Sie Ihre Kunden und Mitarbeiter und rühren Sie an deren Sehnsucht!